Die Hansestadt Lübeck gelangte durch Handel zu einem außerordentlichen Wohlstand. Der Reichtum der Stadt sollte mit starken Mauern und mächtigen Befestigungsanlagen gegen Bedrohungen von außen geschützt werden. Eine Stadtmauer führte komplett um die Stadt herum, nur vier Stadttore erlaubten den Zugang zur Stadt:
Heute sind von diesen Stadttoren, die durch die Lübecker Stadtbefestigung führten, nur noch das Burgtor und das Holstentor erhalten.
Warum heißt das Holstentor eigentlich Holstentor?
Das Holstentor führt nach Holstein, dem ursprünglichen Siedlungsgebiet der Holsten, die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts unter Graf Adolf II. von Schauenburg das slawische Wagrien kolonisierten und den Ort Lübeck neu gründeten.
Das Holstentor wurde in den Jahren 1464-1478 vom Stadtbaumeister Hinrich Helmstede nach niederländischen Vorbildern errichtet und diente von Anfang an nicht nur der Verteidigung, sondern auch der Repräsentation. Bei dem Gebäude handelt es sich um eine von zwei mächtigen Rundtürmen gebildete Doppelturmanlage mit schiefergedeckten Kegeldächern, deren Mitte ein Zwischentrakt bildet, in dem sich das rundbogige Durchgangstor befindet, durch den einst einer der Zugänge zur Stadt führte.
Das Holstentor früher
Wie das Tor ursprünglich ausgesehen hat, zeigt eine Darstellung von etwa 1520 auf dem Magdalenenaltar des Burgklosters von Erhart Altdorfer, der sich heute im St. Annen-Museum befindet. Goldene Kugeln zierten die Türmchen und Turmhelme.
Die Feldseite
Nach außen hin gibt sich das Holstentor trutzig und wehrhaft. Seinen monumentalen Eindruck bewirken vor allem die beiden gewaltigen, gegenüber dem Mittelbau um 3,50 Meter vorspringenden Türme. Die Feldseite besitzt angesichts der erwarteten Gefechtssituationen kaum Öffnungen. Die auf dieser Seite 3,50 Metern dicken Mauern sind lediglich von Schießscharten und nur wenigen kleinen Fenstern durchsetzt.
Die Stadtseite
Insgesamt ist die Stadtseite, deren Mauern wesentlich dünner sind als die der Feldseite (unter 1 Meter), künstlerisch stärker durchgebildet als die der Verteidigung dienende Seite.
Die der Stadt zugewandte Fassade ist weitaus filigraner und präsentiert sich im Vergleich zur Wehrseite freundlicher. Die repräsentative Stadtansicht schließt die beiden Türme und den Mittelbau zu einer einheitlichen Fassade bündig zusammen.
An der Seite des Südturms sieht man wie der Baumeister die optisch nicht einfache Überleitung von der dreigeschossigen Feldseite zu der viergeschossigen Stadtseite bewerkstelligte: der Mauervorsprung der Feldseite führt hier um ein halbes Geschoss senkrecht nach oben, um von dort an das zweite und dritte Obergeschoss auf der Stadtseite voneinander zu trennen.
Irgendwie schief oder?
Nicht zu übersehen ist die starke Neigung des Holstentors und das Einsinken seines Südturms. Die Ursache hierfür liegt in den Fundamentierungsarbeiten im 15. Jahrhundert. Das Holstentor wurde auf morastigem Grund gebaut, deshalb hat man zur Gründung dichte Pfahlsetzungen durchgeführt, über die zwei Balkenlagen als sogenannter Schwellrost aufgelegt wurden. Allerdings stehen nur die Türme auf dieser Konstruktion, der schwere Mitteltrakt aber besitzt keine solche Unterlage. Deshalb sackten die Türme ungleichmäßig in den Untergrund ein und neigten sich wegen des kolossalen Drucks des Mittelbaus einander zu.
Erst mit der Restaurierung von 1933/34 konnte diese Bewegung gestoppt werden.
CONCORDIA DOMI FORIS PAX
Über dem Durchfahrtsboden der Feldseite kündet die vergoldete Inschrift von der Aufgabe des Tores: Drinnen Eintracht, draußen Frieden.
Dieser Schriftzug stammt von 1871 und ist eine verkürzte Form der Inschrift, die zuvor auf dem nicht erhaltenen Vortor gestanden hatte: Concordia domi et foris pax sane res est omnium pulcherrima (Drinnen Eintracht und draußen Friede sind in der Tat für alle am besten).
1477 S.P.Q.L. 1871
Die Widmungsinschrift über der Tordurchfahrt der Stadtseite zieren Wappen mit dem weiß-roten Reichsadler und dem Doppeladler der Hansestadt Lübeck.
Die Jahreszahl 1477 zeigt das Datum der Fertigstellung des Tores an (korrektes Datum ist allerdings 1478).
Das Jahr 1871 verweist auf die Abschlussarbeiten der Restaurierung aber auch auf die Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Damit wurde das Bauwerk zugleich zu einem deutschen Denkmal aufgewertet.
Die Inschrift greift das römische Kürzel S.P.Q.R. (SENATUS POPULUSQUE ROMANUS) auf, das mit „Der Senat und das römische Volk“ übersetzt werden kann. Hier wurde es variiert zu: SENATUS POPULUSQUE LUBECENSIS, also „Der Senat und das Lübecker Volk“.
Das Holstentor abreißen?
Um ein Haar wäre das Holstentor abgerissen worden.
Das alte Tor bot um die Mitte des 19. Jahrhunderts einen ruinösen Anblick. Zehn Jahre lang – von 1853 bis 1863 – hatte man daher in der Lübecker Bürgerschaft darüber diskutiert, dieses Bauwerk vollkommen abzureißen. Schließlich beschloss die Bürgerschaft am 15. Juni 1863 mit 42:41 Stimmen, also mit der hauchdünnen Mehrheit von einer Stimme, das Tor zu erhalten. Noch im selben Jahr begannen die Restaurierungsarbeiten.
Vor dem Holstentor befand sich aber nicht schon immer eine Wiese, sondern eine aufwendiges Befestigungssystem. Das im Museum Holstentor ausgestellte Stadtmodell gibt die gesamte Verteidigungsanlage im Holstentorbereich gut wieder: Demnach folgte auf das Mittelalterliche Holstentor das von seitlichen Wällen eingeschlossene Vortor (Renaissancetor). Der Weg setze sich über einen Brückendamm und eine Zugbrücke weiter fort.
Zwischen altem Holstentorwall und neuem Wall befand sich ein von Teichen (Überreste des ehemaligen Grabens) und Gärten besetztes Gelände als Vorfeld.
Bereits im 16. Jahrhundert galten die mittelalterlichen Befestigungsanlagen wehrtechnisch als veraltet. Deshalb wurde eine Bastion vor das Holstentor als Ergänzung seiner Verteidigungsfunktion erbaut.
1585 wurde als Abschluss der Bastion ein Vortor, auch unter den Namen Renaissancetor oder Krummes Tor bekannt, vor das eigentliche Holstentor gesetzt.
Beide Bauten waren durch eine Zwingmauer verbunden. Das Vortor stand nur rund 15 Meter vom Holstentor entfernt und versperrte so den Blick auf das Holstentor fast vollständig.
Mehr zum Vortor
Vor allem die Abbildung des Holstentors auf dem 50-Mark-Schein trug zu dessen allgemeiner Bekanntheit bei. Für die Gestaltung der von 1961 bis 1990 gültigen Banknotenserie schrieb die Bundesbank einen Wettbewerb aus. Zehn Grafiker, die bereits Erfahrungen in der Gestaltung von Banknoten und Briefmarken aufweisen konnten, reichten Ihre Entwürfe für die Motive der Schein-Rückseiten ein. Unter Mitwirkung des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss wurde der Entwurf des Schweizers Hermann Eidenbenz ausgewählt.
Mit der Entscheidung der Bundesbank für die Darstellung des Lübecker Holstentors auf der Rückseite des 50-DM-Scheins wurde der deutsche Bürgerstolz unterstrichen; die seit jeher schiefen Türme wurden allerdings auf der Darstellung begradigt.
Das Holstentor ist im Laufe der Jahrhunderte zum Inbegriff der Vorstellung von Hanse, Hansestadt, Handel, Macht und Reichtum geworden. Eine wichtige symbolische Bedeutung besaß das Gebäude aber von Anfang an, denn es sollte bereits zur Zeit seiner Errichtung Ende des 15. Jahrhunderts weit mehr als eine rein militärische Schutzfunktion erfüllen. Schon damals war das Tor als eine Art Repräsentationsbau und Denkmal zugleich geplant.
Alle Abbildungen: © Museum für Kunst- und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck